"Erikas Töchter" untersucht anhand der fiktiven Figur Erika Mustermann Perspektiven auf die deutsche, weibliche* Identitätsbildung in Deutschland. Seit 1987 existiert Erika als Musteridentität in amtlichen Dokumenten – weiß, blond, blau- oder grünäugig. Als ein lächelnder Anachronismus geistert sie, erschreckend unkommentiert, durch die Bürokratielandschaft Deutschlands.
Die Arbeit übersetzt diese fiktive Identität in ein irritierendes Szenario, das zwischen Gartenfest, Ausstellung, Performance und Büroalltag changiert. Im Zentrum stehen zwei Ebenen: Zum einen die Präsentation der IDOLLs, einer Serie neuer weiblicher Musteridentitäten, die im Format einer Teleshopping-Show als innovative Lösung zeitgenössischer Identitätsprobleme vermarktet werden. Zum anderen der Blick in Erikas Büroalltag. Umgeben von Plastik-Buchsbaumbüschen, Teppichboden und generischen Büromöbeln ist sie gefangen im Moment des Fotos und der Reproduktion ihres Gesichtes.
Erikas durchdringende Augen blicken uns alle aufmerksam an, die Mundwinkel deuten ein neutrales Lächeln an. Doch je länger man sie betrachtet, desto schwerer wiegt ihr Blick: normierend, klassifizierend und ausschließend. Ihre Stimme, körperlos und fragmentarisch, erzählt aus dem Inneren dieses leeren Gesichtes und stellt die Frage, welche Gesichter und Narrative durch sie aus dem kollektiven Bild verschwinden.
“Erikas Töchter” explores perspectives on german, female* identity formation in Germany through the fictional figure of Erika Mustermann. Since 1987, Erika has served as the standard identity in official documents – white, blonde, blue- or green-eyed. As a smiling anachronism, she continues to haunt Germany’s bureaucratic landscape.
The work translates this fictional identity into a scenario that shifts between garden party, exhibition, performance, and office routine. At its center are two layers: on the one hand, the presentation of the IDOLLs – a series of new female standard identities, presented in the style of a teleshoppingshow, offering an innovative approach to contemporary issues of identity; on the other hand, a glimpse into Erika’s everyday office life. Surrounded by plastic boxwood shrubs, carpeting, and generic office furniture, she remains trapped in the moment of the photograph and the endless reproduction of her own face.
Erika’s eyes look directly at the viewer, the corners of her mouth suggesting a neutral smile. Yet the longer she gazes at you, the more insistent her expression becomes: classifying and excluding. A bodiless, fragmentary voice accompanies the scene, offering insights from within this empty face and raising the question of which faces and narratives disappear from the collective image through her.
In der Heidestraße 17, im Karlsruher Industriegebiet Silberstreifen, erhebt sich ein unscheinbares Holzhaus, das von der Bundesdruckerei als Schauplatz für den feierlichen Aufbruch in die Zukunft weiblicher Identität* verwandelt wurde. Auf Einladung von Jette Schwabe und Lina Determann betreten die Gäste eine Szenerie, die zwischen bürgerlichem Gartenfest, Produktlaunch, Büroalltag, Performance und Ausstellung changiert.
Weiße Monoblockstühle, belegte Brötchen und gedämpfte 80er/90er-Jahre-Musik rahmen den Auftakt: den Produktlaunch der sogenannten IDOLLs. In einer Überlagerung greller popkultureller Codes und neoliberaler Selbstinszenierungen werden fünf stereotype Figuren als vermeintliche Lösung zeitgenössischer Identitätskonflikte vermarktet.
Im hinteren Teil des Hauses eröffnet sich eine generische Bürolandschaft. Zwischen grauen Einbauschränken, grünen Weintrauben und vereinzelten Luftballons erstarrt eine Atmosphäre, die an eine endlose „Mitarbeiterin des Monats“-Feier erinnert.
Das einzige Element in Bewegung: Erika Mustermann. Seit 1987 existiert sie als Musteridentität in amtlichen Dokumenten. Bisher hat sie vier Gesichter getragen – alle weiß, blond, blau- oder grünäugig. Die Gesichter gehörten einst Mitarbeiterinnen der Bundesdruckerei, jener Institution, die bis heute deutsche Ausweisdokumente produziert und wandern heute als lächelnden Anachronismus, erschreckend unkommentiert, durch die Bürokratielandschaft Deutschlands.
Abgeschottet von der Welt, ist Erika gefangen in endlosen ritualisierten Handlungen: das Ordnen von Dokumenten, das Abstauben hunderter identischer Porträts ihres eigenen Gesichts, das Anfertigen biometrischer Selbstaufnahmen.
Über den Aktenregalen und den Ordnern, die ihre Existenz dokumentieren, schwebt eine körperlose, fragmentarische Stimme, die aus ihrem Inneren berichtet. Sie wirft Fragen auf: Welche Gesichter und Narrative verschwinden durch Erika aus dem kollektiven Bild? Welche Identitätsmodelle bleiben sichtbar, welche werden normiert, klassifiziert oder ausgeschlossen?
Nur in einem Moment ihrer endlosen Bürochoreografie richtet Erika den Blick nach außen: An einem ihrer Schreibtische stapeln sich hunderte Briefe, die an sie adressiert wurden. Sie faltet sie in präzisierter Gleichgültigkeit und überreicht sie den Anwesenden. Der beigefügte Vermerk wirkt zugleich wie amtliches Urteil und wie Orakel:
„Der Brief konnte leider nicht zugestellt werden, da diese Person nicht existiert.“
Ausführliche Beschreibung (en)
In the Silberstreifen industrial park in Karlsruhe, at Heidestraße 17, stands an inconspicuous wooden house that has been transformed by the Bundesdruckerei (Federal Printing Office) into a venue for a ceremony marking the future of female identity*. By invitation of Jette Schwabe and Lina Determann, guests enter a scene oscillating between a generic garden party, product launch, office routine, performance, and exhibition.
White monoblock chairs, snacks, and muted 80s/90s music set the stage for the launch of the so-called IDOLLs. In an overlay of vivid pop-cultural codes and neoliberal selfself-optimization, five stereotypical figures are marketed as supposed solutions to contemporary female identity conflicts.
At the rear of the house unfolds a generic office landscape. Between gray cabinets, green artificial vines, and sporadic balloons, an atmosphere crystallizes reminiscent of an endless “Employee of the Month” celebration.
The only element in motion: Erika Mustermann. Since 1987, she has existed as the model identity in official documents. She has assumed four faces – all white, blonde, with blue or green eyes. These faces once belonged to employees of the Bundesdruckerei, the institution producing german identity documents, and today roam the bureaucratic landscape of Germany as a smiling anachronism.
Isolated from the world, Erika is trapped in endless ritualized actions: sorting documents, dusting hundreds of identical portraits of her own face, creating new biometric self-portraits.
Above the file cabinets that archive her existence hovers a disembodied, fragmentary voice, reporting from within. It raises questions: which faces and narratives disappear from the collective image through Erika? Which identity models remain visible, and which are normalized, classified, or excluded?
Only for a moment in her endless office choreography Erika turns to the audience: at one of her desks, hundreds of letters addressed to her have piled up. She folds them with precise indifference and returns them to her visitors. The attached note functions simultaneously as official decree and oracle:
“The letter could not be delivered because this person does not exist.”